Der echte Narr trotzt Schnee und Kälte

NEURAVENSBURG „Da ist man ein halbes Jahr nicht mehr Ortsvorsteher – und schon ist das Wetter nichts mehr!“ Es war Horst Büssenschütt, ehemaliger „Dorfchef“, der diese Worte am frühen Samstagmorgen beim Zunftmeisterempfang sprach. Die Narrenzunft Neuravensburg bewältigte ihre Aufgabe trotz widriger Wetterbedingungen mit Bravour. Allerdings hatte sie mit 2600 Zuschauern zumindest augenscheinlich etwas weniger Besucher als sonst zu verzeichnen. 3000 Hästräger aus 62 Zünften sprangen frohgelaunt von der Alten Schule bis hinauf zur Halle – mit viel Herzblut und närrischer Energie.

Es war schon kurz nach viertel vor zwei, als das „Weg frei-Fahrzeug“ der Zunft samt der traditionellen Eröffnungsgruppe, der Guggamusik Rabäschränzer Einsiedeln, den Berg nach oben zog und den närrischen Lindwurm hinter sich herführte. „Schön, dass ihr alle gekommen seid, obwohl es schneit“, begrüßte Zunftmeisterin Lisa Heine im Ehrenwagen schräg gegenüber des Rathauses die Gäste: „Aber der echte Narr geht auch bei Schnee hinaus.“ Ähnlich sah es auch Rainer Beer, Oberzunftmeister des Alemannischen Narrenringes (ANR), der als Co-Sprecher fungierte: „Fasnet ist, wenn die Zuschauer genauso mit den Zähnen klappern wie die die Kühe der Vogter Heufresser.“

Zu diesen Schnee und Kälte erprobten Zuschauern gehörten auch Heike Blaschke und Sohn Daniel aus Nonnenhorn, die ihr Clownkostüm einfach mit einem Plastikumhang schützten: „Für uns war das keine Überlegung, herzukommen oder nicht. Wenn man die Fasnet mag, geht man hin. Für mich ist das das Größte.“ Beide antworteten frohgemut auf die Narrenrufe – und erfreuten sich der Späße und dem Schabernack der Zünfte. Letztere ließen keinen Zweifel daran, ob sie Fasnetslust verspürten oder nicht. Sie präsentierten sich wie eh und je zum Saisonbeginn – voller Tatendrang, neckisch und heiter. Gut eineinhalb Stunden lang zog sich das fröhliche Gemenge aus Musikkapellen und Narrenvolk durch die Ortschaft. Selbst pyramidenbauende oder anderweitig akrobatisch aktive Gruppierungen ließen sich trotz nasser Straße nicht von ihrem (auch sonst üblichen) Treiben abbringen.

Problematik Alkoholmissbrauch

Viel geboten war auch schon beim morgendlichen Zunftmeisterempfang in der Turn- und Festhalle. Thema war neben Gruß- und Gastreden auch der durch einen in der SZ veröffentlichen Leserbrief geäußerte Vorwurf, Narrenzünfte seien untätig, würden zu wenig gegen Alkoholmissbrauch tun und seien schlechte Vorbilder. „Die Fasnet braucht Leute, die sich drum kümmern und nicht nur welche, die sich Gedanken machen“, sagte Winne Merk von der Edelweißbrauerei Farny. Er stellte zur Problematik Alkoholmissbrauch von Jugendlichen auch die Frage: „Ist das nun ein gesellschaftliches Problem oder ein Narrenproblem?“ Ortsvorsteher Hermann Schad, als Hippie verkleidet, lobte jedenfalls die Arbeit der Neuravensburger Zunft: „Was ihr auf die Beine stellt, ist eine tolle Sache.“ Weiter sagte Schad: „Die Fasnet gehört ins Allgäu wie das Oktoberfest nach München und der Wasen nach Cannstatt.“

Oberzunftmeister Rainer Beer erinnerte nicht zuletzt daran, dass die Fasnet im Dezember zum immateriellen Weltkulturerbe der Unesco geworden sei. Beer war es auch, der gemeinsam mit ANR-Präsident Gusti Reichle und ANR-Oberzunftmeister Markus Kast aus dem Bezirk Bodensee an Rolf Deger den ANR-Ehrenorden mit Silberkranz verlieh. Deger ist seit 24 Jahren aktives Mitglied der Narrenzunft Neuravensburg, seit acht Jahren Gruppenführer beziehungsweise Beisitzer im Ausschuss und an der Organisation vieler Sprünge, beim jährlichen Aufrichten des Narrenbaumes und einiges mehr maßgeblich beteiligt. „Er ist ein Mitglied, wie es die Fasnet in Neuravensburg braucht“, sagte Beer.

Wie in jedem Jahr sorgten die Allgaier Ur-Band und die Schussa-Gugga-Musiker Marcus Haider und Henri Schwedt für einen tollen und närrischen musikalischen Rahmen. Statt Gastgeschenken ließ sich die Narrenzunft Neuravensburg auch in diesem Jahr wieder Geld-Präsente mitbringen – und kann nun in diesen Tagen 1000 Euro an den Verein Förderkreis für tumor- und leukämiekranken Kinder Ulm überweisen.

In Sachen Alkohol und Gewalt bescheinigte das Polizeirevier Wangen der Narrenzunft Neuravensburg im Übrigen einen „relativ ruhigen Verlauf“. Jürgen Rölli: „Es gab ein paar Körperverletzungen und betrunkene Jugendliche.“

Erschienen in der Schwäbischen Zeitung am 19.01.2015